Dienstag, 4. September 2012

Die Nähmaschine

Eine schwedische Qualitäts-"Symaskin"
Am Donnerstag, den 30.08 kamen meine Eltern mit einem voll geladenem Auto in Groningen an. Ich war bereits am Sonntag mit dem Zug angereist. Wir luden die Möbelteile und alles andere Zeug, was man zu brauchen meint, aus und begannen sofort damit alles aufzubauen. Wir hatten daheim schon alles gut vorbereitet, sodass wir in 3 Stunden ein Hochbett (das Zimmer hat unglaubliche 12 qm), Kleiderschrank, Regale und einen Schreibtisch zusammengebaut haben. Mit dem Einräumen und Sortieren all des Krams, den man so hat, bin ich bis heute noch nicht richtig fertig.
Am nächsten Morgen fuhren wir zu IKEA, um diese ganzen nützlichen Dinge zu kaufen, die man bei IKEA so kauft. Nachdem wir drei sündhaft teure LED-Super-Power-Deluxe-Energiesparglühbirnen in den Einkaufwagen gepackt hatten, wurden wir bei den Gardinen etwas sparsamer. Ich war unzufrieden mit dem Gardinenangebot, da die Gardinen zu kitschig, zu fad, zu spießig, zu schrill, zu lang, zu kurz oder zu teuer waren. Da vor meinem Fenster eine Straßenlaterne die Umgebung taghell erleuchtet, fielen alle lichtdurchlässigen Gardinen schon mal weg. Außerdem war über dem Fenster schon eine Gardinenleiste vorhanden, sodass Gardinen mit nicht kompatiblen Gardinenrollen ebenfalls ausschieden.
Nachdem meine Mutter und ich uns eine ganze Weile lang IKEA Gardinen angeschaut hatten, kam mein Vater mit einem roten Vorhang an, der exakt die Hälfte der Größe meines Fensters maß. Wie sich herausstellte handelte es sich bei dem Vorhang nicht wirklich um einen Vorhang, sondern um eine Fleecedecke. Die Fleecedecke verkauft IKEA für 1.99 €, Gardinen beginnen bei 30 €.
Wofür sich die zugereisten Schwaben entschieden haben, ist ja wohl klar. Nadel und Faden gab es auch bei IKEA und der Plan war, zwei Decken zusammenzunähen, um einen Vorhang zu haben, der über die gesamte Länge des Fensters reicht. Nachdem wir unsere 30 Artikel an der Expresskasse selbst eingescannt und bezahlt hatten liefen wir Richtung Ausgang. Kurz bevor wir den Ausgang erreichten, drehte mein Vater sich noch einmal um und deutete auf ein paar Nähmaschinen, die nahe des Eingangs zur Ausstellung aufgebaut waren und sagte "Lass uns die Vorhänge doch damit zusammennähen". Ich lief zu einer der Nähmaschinen und schaute mir das ausgestellte Plastik-China-Fabrikat an und äußerte meine Zweifel, ob die Maschine wirklich etwas taugt. Mein Vater fing an, an die Maschine zu inspizieren. Irgendwann dämmerte mir, dass mein Vater auch nicht vorhatte eine solche zu kaufen, sondern das Ausstellungsstück in Betrieb zu nehmen. Er schickte mich auf die Suche nach einer Steckdose, die ich auch relativ schnell im Boden eingelassen fand. Mein Vater baute derweil die ganzen filigranen Kleinteile zusammen, die so zu einer Nähmaschine dazugehören und bei IKEA natürlich nicht von Werk ab montiert sind, sondern sich in einem separaten Plasikbeutel befinden. Meine Mutter kam hinzu, erkannte unseren Plan und fiel innerlich in Ohnmacht. Sie sagte aber nichts, da sie merkte, dass unser Plan schon viel zu weit fortgeschritten war, um uns noch davon abzubringen. Vielleicht hoffte sie auch auf ein schnelles Scheitern aufgrund fehlender Kleinteile. Bei IKEA liegt das ja durchaus im Bereich des Möglichen.
Sie setzte ihr Gesicht auf, das sie immer hat, wenn sie mit etwas überhaupt nicht einverstanden ist. Vergleichbar mit dem von Beethoven’s Todesmaske.
Das Gesicht half nichts, mein Vater ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und schaffte es die Nähmaschine in Gang zu bringen. So begangen wir in der Eingangshalle die beiden Filzdecken zu einem Vorhang zusammenzunähen.
Dauerte die Vorbereitung schon lang, dauerte das Nähen noch länger. Die Nähmaschine war langsam, dafür sehr laut und der qualitativ minderwertige IKEA-Nähfaden riss alle zehn bis zwanzig Zentimeter. Wir erregten in dieser Zeit einige Aufmerksamkeit und eine ganze Menge Leute blieben stehen, um sich anzuschauen, was wir machen. Meine Mutter verließ die Eingangshalle, die Situation war ihr zu strange.
Kurz bevor wir fertig wurden, kam dann auch eine IKEA-Mitarbeiterin, die uns fragte, was wir denn hier veranstalten würden und, dass es sich um Ausstellungsstücke handle, die nicht für den Gebrauch gedacht sind.
Ich stellte mich doof und textete sie auf Englisch zu. Ich stellte mich dabei auf den Standpunkt, dass es normal sei, ein Produkt vorher zu testen bevor man es kauft. Außerdem hatten wir den Stoff und den Faden mit dem wir nähten ja eben gekauft und bezahlt. Sie war mit meiner Antwort nicht wirklich zufrieden, war sich aber auch nicht sicher, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte. Also blieb sie noch ein bisschen stehen und entfernte sich dann langsam.
Nachdem der Vorhang fertig genäht war, packten wir unsere Sachen wieder zusammen und zogen von dannen.
Die beiden Fleecedecken machen sich gut als Vorhang in meinem neuen Zimmer. Und auch, wenn meiner Mutter das hochnotpeinlich war, dass wir die Eingangshalle in eine Nähstube verwandelten, war sie doch immerhin mit dem Ergebnis sehr zufrieden und auch bereit unser Werk bildlich zu dokumentieren.



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